Die Westliche lateinische Welt hat um 600 von den Ländern ostwärts des Rheines und nördlich der Donau, sowie gar vom Nordseeraum und Skandinavien recht wenig gewußt. Es waren zuerst irische Mönche, die als peregrini an der Ausdehnung des geographischen Bildes mitwirkten. Sie huldigten dem Ideal der "peregrinatio pro Christo" und suchten die Einsamkeit auf den Inseln der Nordsee und des Nordatlantik. Wie die peregrini wirkten die Missionare für die Erweiterung der Länder- und Völkerkunde. Ihr Wirken liegt in seinen Ergebnissen, in der Christianisierung weiter Gebiete, auf der Hand.
Ob überhaupt und wie weit die frommen Männer Irlands geographische Interessen hegten, ist heute schwer zu sagen. Dennoch haben sie in großem Umfang zur Auffindung neuer, bis dahin nicht gekannter Inseln beigetragen. In ihrem Streben nach Einsamkeit mußten sie allmählich immer weiter ins unbekannte Meer hinausfahren.
Es scheint, daß die Entdeckung der Färöer solchen irischen Weltflüchtigen etwa um das Jahr 670 erstmalig glückte, die
dann auf diesen Inseln 130 - 150 Jahre verweilten. Eine dauerhafte Besiedlung durch die Vikinger erfolgte erst im Jahre 865 oder 866.
Dicuil ein irischer Mönch, der um 825 eine Geographie(23) schreibt, erfuhr, daß die Färöer seit etwa einem Jahrhundert von
irischen Eremiten besetzt waren. Priester, mit denen er gesprochen hatte, berichteten ihm, daß sie eine Überfahrt von den
Shetlandinsel in 2 Tagen und einer Nacht gemacht und die Insel voll von Schafen gefunden hätten.
Als Missionare wirkten bei den Friesen die Heiligen Willibrord und Liudger, von denen eine Missionsfahrt ins Fositesland aufgezeichnet ist.
Sowohl der Friesengott Fosite wie das nach ihm benannte Land haben einige Verwirrungen gestiftet. Im Mittelpunkt des Kultes dieses Gottes gab
es ein eigenes Land, über dessen Lage die Meinungen stark auseinandergingen.
Am häufigsten hat man auf Grund des Berichtes des Adam von Bremen Helgoland immer wieder als Fositesland
angesehen(24).
Aber "sehr fruchtbar an Getreide"(25) und
"reichste Nährmutter für Vieh"(26)
kann Helgoland schwerlich gewesen sein. Noch weniger kann es als Sitz einer Residenz des Friesenkönigs Radbod angenommen werden, da
Helgoland kaum jemals auf der Grenze zwischen den Dänen und Friesen lag. Es muß sich dabei um das heutige Nordfriesland gehandelt haben.
Die wichtigste unter irischen Auffindungen neuen Landes war unzweifelhaft die Entdeckung Islands, die ca. ¾ Jahrhundert früher gelang als das normannische Eintreffen. Die Auffassung daß Pytheas von Massilia in Island gewesen sein könnte und daß die Insel mit seinem Thule identisch wäre, hat Dicuil zum ersten Mal aufgebracht. "Sie ist jedoch unter gar keinen Umständen aufrecht zu erhalten und ... Es sollte heute wirklich nicht mehr bezweifelt werden, daß Pytheas allein im mittleren Norwegen sein Thule gefunden haben kann" ( Sic. !)(28).
Die von Dicuil beschriebene Fahrt irischer Mönche nach Island ist die erste, die sich nachweisen läßt. Er berichtet von Klerikern,
die er vor 30 Jahren getroffen hatte und die dort ein halbes Jahr verbracht hatten. Die Tatsache, daß Dicuil nicht die Bestätigung
fand von einer halbjährigen Nacht und einem halbjährigen Tag auf "Thule", spricht für eine eigens erlebte Fahrt. Fünfzig
Jahre nach Dicuils Schrift fanden die norwegischen Siedler an der Ostküste Islands irische Bücher, Glocken und Krummstäbe,
von Mönchen zurückgelassen, die "abreisten, weil sie nicht mit Heiden dort zu leben wünschten".
Das genaue Jahr der normannischen Entdeckung Islands ist nicht bekannt, aber wahrscheinlich ist, daß einzelne Normannen schon früher
als 860 die Insel fanden. Der Normanne Gadar kommt als einer der wichtigsten Entdecker in Frage, da er durch Umfahrung Islands die Inselnatur
und Größe des Landes festgestellt hatte.
Die Vorliebe für Geographie veranlaßte den englischen König die von ihm übersetzte Weltchronik des Orosius nach der
erdkundlichen Seite abzurunden. Orosius zeichnet seine Karte Europas zur Zeit der beginnenden Völkerwanderung. Für Alfreds Zwecke
konnte ein derartiges Bild nicht mehr geeignet sein, er gestaltete es also nach den Verhältnissen seiner Zeit entsprechend.
Die Ostgrenze Europas bildet der Tanais, die Südgrenze wird durch den Pontus Euximus und das Mittelmeer bezeichnet. Über den Verlauf
der Nordgrenze erwähnen beide Autoren nur ein Sarmatisches Meer (sarmaticus oceanus).
Mit Rücksicht auf die ziemlich ausführlichen Mitteilungen des Orosius über Britannien beschränkt sich Alfred hier meist
auf Übersetzung, wenngleich er manche Details zu ergänzen weiß: z.B. als er auf Ibernia zu sprechen kommt, fügt er hinzu
"das wir Schottland nennen"(29).
Von Orosius entlehnt er die Nachricht über das vielumschtrittene Wunderland Thule.
Beide Kosmographen lassen hierin wohl Island erkennen, denn sie sagen es sei das äußerste Land im Nordwesten von Ibernia.(30)
Die letzten Sätzen Alfreds Beschreibung Germaniens sind den Völkern des hohen Nordens gewidmet:
" Die Schweden haben südlich von sich die Sarmaten, und im Norden von ihnen jenseits der Wüste ist Quänland; und nordwestlich von ihnen wohnen die Skridfinnen und im Westen die Normannen. "
Die Feststellung des Landes und Volkes Quäner sowie der Quänersee stößt auf Schwierigkeiten. Alfred bezeichnet den Quänersee als die nordwestliche Grenze Deutschlands. Unter dem Quänersee kann nur die Ostsee verstanden werden, meint Geidel(31). Auch Adam von Bremen erwähnt ein Quänerland als das Land, wo Amazonen hausten, an der äußersten Küste des Baltischen Meeres.
Alfred fügte seiner Orosius Übersetzung zwei Berichte über Seefahrten, die zu seinen Lebzeiten unternommen worden waren und
ganz neue Teile der Welt dem Blick erschlossen, an.
Ottar war ein sehr wohlhabender Mann, seine Heimat lag im nördlichen Skandinavien im Halogaland. Er war an die Küste der Perm
(Beormas) gelangt und zwar an die Mündung der Dwina in das Weiße Meer. Von seiner Heimat kam er in sechs Tagen bis zum Nordkap,
umschiffte dasselbe und dann segelte er in rascher Fahrt binnen neun Tagen bis zu der Dwinamündung.
Ottars Reisebericht ist auffallend nüchtern und bescheiden. Er gab einfach Richtung und Zeit seiner Entdeckungsfahrt an, ohne sie mit
Schiffermärchen zu verzieren. Hier kann eine wohlüberlegte Absicht des Normannen vorgelegen haben. Man hat Grund zu der Vermutung,
daß Ottar selber nicht nur einmal, sondern öfters das Eismeer, vielleicht auch das Weiße Meer aufgesucht hat. Es ist anzunehmen,
daß er nicht durch erdkundliche Interessen oder durch einen Befehl König Alfreds ins Weiße Meer geführt wurde, sondern weil
er wie andere Normannen Pelzhandel treiben wollte.
Da es dem König allein auf die geographischen Einzelheiten der Reise ankam, berichtete ihm
Ottar wahrheitsgemäß, was ihm davon bekannt war. Aber er konnte wohl nicht wünschen, daß der fremde Herrscher erfuhr, welche
hochwertigen Handelsgebiete es in jenen Fernen gab.
Während von Ottar bekannt ist, wo er Zuhause war und in welchen Verhältnissen er lebte, wissen wir von Wulftan nichts derartiges.
Man hält auch ihn für einen Normannen oder aber für einen Sachsen.
Der Ausgangspunkt der Seereise war Haithabu ( auch Hedaby oder Hadeby )genannt und das Ziel war, das an der Stelle des heutigen Elbings am
Draunensee gelegene Truso. Sein Bericht läßt erkennen, daß er in der südlichen Ostsee Bescheid wußte. Um eine besondere
Erkundungsfahrt für den König kann es sich nicht gehandelt haben, weil die von Wulftans besuchten Gewässer damals von dänischen
und schwedischen Schiffen nachweislich seit langem befahren wurden.
Wulftans Bericht bezieht sich ausschließlich auf die südliche Teile der Ostsee. Weder die ostpreußische und baltische See noch die nördlicheren Meeresteile und Häfen werden erwähnt. Auch der Finnische Golf blieb außerhalb des Gesichtskreises Wulftans. Seine Schilderung der Ostsee reicht im Norden nicht über Gotland, im Osten nicht über das Friesische Haff hinaus.
Die norwegische Erforschung des Nordatlantiks im Mittelalter ist auf Grund einer Überlieferung, zunächst mündlich und vom 12 Jh. auch schriftlich, in der isländischen Literatur fast vollständig niedergelegt worden und erhalten geblieben, in den Sagas der Landnámabók und der Islendingabók sowie in Annalen.
Erik der Rote mußte Norwegen wegen eines Totschlages verlassen, wurde bald darauf auch in Island wegen eines erneuten Totschlages geächtet und begab sich westwärts auf die Suche nach dem Land "das Gunnbjörn einmal sah"(32). So gelangt er - eher aus Zufall - nach Grönland im Jahr 981 oder 982. Und "er nannte es Grönland, denn er glaubte, daß die Leute mehr dorthin streben würden, wenn das Land einen schönen Namen habe..."(33). Die Kolonisation erfolgte dann vier Jahre später, an den Rändern der südwestlichen Fjorde wurden zwei Siedlungen errichtet. Nach Norwegen bestand ein regelmäßiger Schiffsverkehr. So lange diese Verbindung mit Europa offenblieb war die wirtschaftliche Basis der Grönlandsiedlung gesichert.
Die ursprüngliche Entdeckung und früheste bekannte Sichtung Amerikas durch Europäer machte Bjarni Herjulfsson, der von Norwegen via Island nach Grönland reiste um dort seinen Vater zu treffen. Sein Schiff wurde aber vom Kurs ab - und nach Süden getrieben, wo er wahrscheinlich Labrador erblickt und seine Teile umsegelt hatte, und er somit zum "Vorentdecker" Amerikas geworden war.
Etwa 15 Jahre später machte sich Leif Eriksson auf, um das von Bjarni beobachtete Land zu erkunden. Das erste Land, das er als das von
Bjarni zuletzt gesichtete identifizierte, nannte er Helluland (Flachsteinland), das zweite Markland ( Waldland ). Zwei Tagesreisen weiter
südwestlich fanden sie wildwachsende Weintrauben ( Weinland ) und bauten Häuser.
Einige Jahre darauf führte der Händler Thorfinn Karlsefni eine Expedition nach Amerika, um dort eine Kolonie zu gründen.
Er segelte nach Nordwesten über die Davis - Straße und dann südwärts die Küste entlang, an Ländern vorüber,
die er als Leif´s Helluland und Markland wiedererkannte.
Die meisten Forscher identifizieren die drei Länder mit Baffinland, Labrador und Neufundland, wo Helge Ingstad 1961 eine frühere
Vikingsiedlung entdeckte.
Der deutsche Domscholastiker Adam von Bremen verfaßte seine hamburgische Kirchengeschichte(34)
zwischen 1073 - 1076. Rein geographischen Inhalts ist das vierte Buch, die descriptio insularum Aquilonis. In diesem Buch beschreibt Adam die
Inseln der Nordsee und des Polarmeeres.
Er selbst scheint nicht allzu viel gereist zu sein. Manche seiner Angaben über die nächste Umgebung Hamburg - Bremen zeigen, daß
er nicht viel aus Bremen herausgekommen ist. Als seine Hauptquelle gibt er den dänischen König Sven Estridson an. Der weitgereiste
König kannte die Mitternachtssonne der Polarländer und sogar von Vinland wußte er zu erzählen.
Nach Adams Meinung führt das Baltische Meer seinen Namen deshalb, weil es sich gürtelförmig durch die skytischen Länder
bis Griechenland erstreckt. Im Norden bespült es die Orkneys und breitet sich dann zum erdumgürtenden Ozean aus. Estland macht er
zu einer Insel, auf der göttlich verehrten Drachen Menschen zum Opfer gebracht werden.
Noch andere Inseln liegen im Baltischen Meer mit wilden Bewohnern, die alle Seefahrer deshalb meiden. Über Schweden hinaus gelangt man
zum Weiberland. Dieser Irrglaube verdankt seinen Ursprung einem ethymologischen Mißverständnis.
Der, von den Germanen zu kvenir oder kvaénir verdrehte finnische Stammesname (kainulaiset) wurde mit dem aus dem Indogermanischen
abgeleiteten *ueip- / *ueib- = Weib vermischt(35). In jenen Gegenden
leben auch die Alani oder Albani, die grausame Menschenfresser sind. Ferner wohnen da die grünlich bleichen, langlebigen Husi und die Anthropophagen.
Die Bestandteile dieser Fabeln lassen sich leicht erkennen, wenn man Adams klassische Bildung vor Augen hält. Die Norweger rühmt Adam
als ein schlichtes, tüchtiges, frommes Hirtenvolk. Im höchsten Norden sitze aber ein heidnisches Zaubervolk, das so
kräftige Sprüche kenne, daß dadurch gewaltige Walfische auf den Strand liefen.
Nördlich von Norwegen ist nichts als das furchtbare unendliche Meer, welches die ganze Erde umspannt. Es wird berichtet, daß die
Britische See um die Orkaden so geronnen und dick salzig ist, daß die Schiffe nur vom Sturm getrieben sich bewegen können, daher
auch heißt diese See auf deutsch Libersê(36).
Adam erzählt noch von der Insel Thyle, Grönland, Halogland und Weinland. Nach Adam bekam Grönland seinen Namen, weil die Leute dort vom Meer dunkelgrün aussehen. " Es sind übrigens schlimme Seeräuber "( IV;36 ). Das ferne Weinland lokalisiert er nicht näher, er sagt nur, es sei eine Insel im Ozean. Hinter Weinland gibt es keine bewohnte Erde mehr, sondern Eis und Nacht füllen alles. Dort am Ende der Welt gähnt ein furchtbarer Strudel.