Der Grund, warum ich mich bei der Beschreibung der Textebenen auf eine eher eng gehaltene "Definition" beschränkt habe, wird dann verständlich, wenn ich den Versuch unternehme die Dimensionen des Textes zu erklären. Eine klare Trennung der Dimensionen voneinander, so wie sie bei den Textebenen noch möglich war, kann nicht mehr erreicht werden. Zu zahlreich sind die Überschneidungen zwischen ihnen, zu mannigfaltig sind ihre Beziehungen und weitreichend ihre Verknüpfungen untereinander, um ein scharf umrissenes Bild der einzelnen Dimensionen aufzeichnen zu können.
In unserem Verständnis verläuft die Zeit linear. Das heißt; wir stellen uns die Zeit, als ein Band vor, das von einer Richtung
in die andere verläuft oder wir stellen uns selbst als Körper vor, die sich in der Zeit vorwärts bewegen. Für uns also
bedeutet Zeit eine Abfolge von stattfindenden Ereignissen.
Gesprochener Text existiert nur in dieser einen Dimension, in der Zeit, da seine Elemente nur nacheinander in der Linie der Zeit auftreten und
so eine Kette bilden. Obwohl gesprochener Text, also Sprache, nur von kurzer Dauer ist, wenn wir von den technischen Möglichkeiten die Sprache
festzuhalten absehen, sind starke Veränderungen, die die sprachliche Zeichen betreffen, nicht möglich. Die Gründe dafür liegen
u. a. in der großen Menge der Zeichen und in der Komplexität des Systems der Sprache ebenso, wie in der Trägheit der Sprachbenutzer,
die sprachlichen Neuerungen im Wege steht. Wenn sprachliche Zeichen jedoch verändert werden; und ein Blick auf die Geschichte der einzelnen
Sprachen beweist, daß solche Änderungen stattfinden, so liegt die Ursache dafür in sozialen Gegebenheiten. Meist können einzelne
soziale Gruppen im laufe der Zeit Änderungen des sprachlichen Zeichensatzes bewirken.
Änderungen am geschriebenen Text unterliefen einer anderen zeitlichen Entwicklung. Texte, ob im ideographischen oder phonetischen System
entstanden, wurden auf den verschiedensten Materialien geschrieben. Stein, Ton, Wachs, Papyrus, Pergament und Holz waren Trägermaterialien
lange bevor das Papier und später der Buchdruck erfunden wurde, aber wie Texte die Zeit überdauerten hing nicht nur vom Trägermaterial
ab. Auf die Veränderungen des ideographischen Systems möchte ich nicht weiter eingehen, da diese mitunter nicht nur mit formalen
Änderungen, sondern auch mit Bedeutungswandel einhergehen. Wie schnell sich aber Zeichen in ihrer Erscheinungsformen ändern können,
läßt sich anhand des Zeichens für Radioaktivität feststellen.
Das phonetische System zeigt dagegen eine überraschende Unveränderbarkeit. Im 12. Jahrhundert sind etwa zwanzig römische Buchstaben
bekannt und verwendet. Ein merkwürdiges Phänomen ist es, daß sich diese von den Römern übernommenen Buchstaben in Zahl
und Form über fünfzehnhundert Jahre nicht geändert haben.
In der Beobachtung der frühzeitlichen und mittelalterlichen Schreib- und Lerntechniken läßt sich eine der Gründe für
diese "Standhaftigkeit" erkennen. Ein Kind das im Kloster beitrat, lernte schon sämtliche lateinische Gesänge kennen, lange
bevor es schreiben konnte. Das Schreiben lernen war die Visualisierung dieser Gesänge. Der Lehrer sprach eine Silbe und die Schüler
wiederholten sie, während sie die Silbe mit ihrer Hand in den Wachstafeln nachzeichneten. Eine prägsame Methode des Lernens, die
Seh-, Tast-, Sprech- und Hörsinn gleichermaßen in das Lernen einbezog. So wurde in den Schreibstuben nicht einfach abgeschrieben, sondern
laut vorgelesen und diktiert.
Die Grundlage der Handschriftenherstellung war zu dieser Zeit das Bestellwesen. Das heißt eine Handschrift oder ein Buch wurde nur in Auftrag erstellt.
Der Buchdruck in seinen Anfängen beschränkte sich auf die Nachahmung der Handschrift. Erst später wird auf die freie
Zusammensetzbarkeit der Buchstaben Wert gelegt. Mit der leichteren Reproduzierbarkeit von Büchern sind aber auch wirtschaftliche Risiken
verbunden, die dann zum Teil mitbestimmende Wirkung auf die Verbreitung von Texten hatten. Text wurde somit zur Ware.
Auf dem ersten Blick mag all dies nichts mit Hypertext zu tun haben, aber erst im Lichte dieser Entwicklung können wir das frühneuzeitliche
Buchwesen und ihre Auswirkungen für unsere Zeit verstehen. Denn mit der Verfeinerung der Buch- und Drucktechniken, erblüht auch das
Editionswesen. Neuauflagen werden kontrolliert, Abweichungen werden dokumentiert und editorisch festgehalten. Dadurch erhielt der Text (und hier
meine ich den Text als solches und nicht einen Textträger) einen permanenten Charakter. Dieser führte im Weiteren zum Wunsch, Texte
aufbewahren und verbreiten zu können und die Bibliothek wird als Ausdrucks dieses Wunsches zum Schlüsselbegriff. Die andere Seite dieser
Medaille ist, daß jetzt im Druck alles vervielfältigt werden kann. Damit taucht das Problem der Quantität erstmals auf.
Aber die absolute Erfassung des Textes hat für den Text auch einen Nachteil; notwendig gewordene Änderungen oder Ergänzungen
können unter Umständen schwer dem Text hinzugefügt werden.
Hier beweist Hypertext seine große Flexibilität gegenüber gedruckten Textformen. Hypertext kann sozusagen im "Vorbeilaufen"
geändert werden, Ergänzungen oder Korrekturen können entweder direkt im Text integriert, oder als selbständige Texte in dem
bereits bestehenden Hypertextordnung eingebettet werden und das viel schneller als es irgendeine Drucktechnik ermöglichen könnte.
Wie ich es schon früher angesprochen habe, wird aber gerade diese unmittelbare Änderbarkeit dem Hypertext, im Hinblick auf die
Dauerhaftigkeit der Texte, als Mangel vorgeworfen. Die verschiedenen Foren und News Groups im Internet scheinen die These zu bestätigen,
daß elektronische Texte nur in Echtzeit existieren können, denn nirgendwo im Internet ist die Fluktuation des Textes so groß
wie in diesen Medien. Es liegt aber im Wesen von Foren und News Groups, daß dort Information schnell und aktuell zur Verfügung steht.
Man darf auch nicht außer Acht lassen, daß das Internet im Vergleich mit dem Buch noch ein sehr junges Medium ist, das die Entwicklung
seiner Archivierungsmethoden noch nicht abgeschlossen hat.
Was aber die These außer Acht läßt, liegt an der Hand; nämlich daß sich Hypertext, gerade durch die Möglichkeit
der permanenten Editierbarkeit, der absoluten Zeit des geschriebenen Textes entzieht. "Die Zeit ist nicht etwas, was für sich selbst
bestünde, oder den Dingen als objektive Bestimmung anhinge, ..." schrieb Kant in 1787. (Und der heutige Zeitbegriff der Physik gibt
dem alten Philosophen recht) Das bedeutet, daß Zeit in einem subjektiven Sinne relativ ist, da sie einen Teil unseres Anschauungsapparates
bildet. Hypertext überschreitet die Zeitgrenzen insofern, als es für einen Hypertext möglich ist seine Elemente aus verschiedenen
Zeiten in eine einzige Zeit darzustellen, in der Echtzeit; in der Zeit also, in der Hypertext gelesen wird.
Denken wir nur an die schon erwähnten Foren und News Groups, dort können Texte zu einem Zeitpunkt erscheinen, der aber gleichzeitig in
verschiedenen Zeiten existiert.
Obwohl Sprache nur in der Dimension der Zeit vorkommt, kann man jedoch auch dem gesprochenen Text eine Linealität nachweisen und zwar in der Vermittlungsform der mündlichen Überlieferung. In Zeiten wo Lesekundigkeit und Bücher als Privileg einer dünnen Schicht von Gelehrten vorbehalten war, konnten populäre Lesestoffe nur mündlich überliefert und verbreitet werden. Reisende Händler und Wanderpoeten trugen die Texte auch in den entlegensten Gegenden hin, und sorgten so für die ständige Zirkulation des Textes.
Daß beim Schreiben der Text in einer Linie von aufeinanderfolgenden Zeichen erscheint, ist für uns ebenso selbstverständlich,
wie das, daß beim Lesen diese Zeichen in der selben Reihenfolge gelesen werden. Um diese Art von Linealität geht es mir hier nicht.
Viel interessanter ist die Anordnung der Texte.
In der frühen Neuzeit wurden die Texte nach einem Leitbild organisiert, welches zwar in einer anderen Form, aber bis heute erhalten blieb.
Dieses Bild ist das Bild des Baumes. Der Baum in seiner linearen Struktur diente lange Zeit, als das Prinzip der Zuordnung. Jede Verzweigung
führt zu einem dickeren Ast, der wiederum zu einem noch dickeren führt, bis letztendlich auf den Stamm zurück.
Die Anordnung des Wissen und der Texte erfolgte nach Themengebieten (nach den Topoi) und nach Orten in diesen Gebieten (nach den Loci). Dabei
ging man immer vom Großen zum Kleinen, vom Überbegriff zum Unterbegriff und so ergaben sich viele linear verlaufende Baumstrukturen.
Diese Art der Ordnung wurde nicht nur innerhalb der Bücher auf die Texte angewandt, sie wurde auch in Bibliotheken als Ordnungsprinzip benutzt.
Die bemerkenswertesten Zeugen solcher Anordnung sind die frühneuzeitliche Enzyklopädien. Erst später, ab dem 18. Jahrhundert wird
diese Ordnung der Texte und des Wissen durch das schon erwähnte System des Alphabets ersetzt.
Die Linealität des Baumstrukturs konnte nur durch Querverweise überwunden werden. Was das Systems des Alphabets, in dem die Texte durch Querverweise verbunden waren, erreicht hat, läßt sich an der Wirkung eines einzigen Buches beobachten; der "Encylopédie". Das neue System der Ordnung heißt von nun an: Labyrinth. Die Verknüpfungen zwischen den Texten unterliegen keiner vorgegebenen Regeln mehr, der Weg zum versammelten Wissen der Bücher ist frei, der Betrachter bestimmt selbst die Richtung und somit schafft er zugleich das System seines eigenen Wissens.
Reine lineare Strukturen sind in echten Hypertexten nicht mehr aufrechtzuerhalten. Hypertext bildet ein Labyrinth, ein dezentrales Geflecht
von ineinander verästelten unhierarchischen Netzen. Innerhalb einzelner Hypertexte können wir alle Ordnungsmöglichkeiten wiederfinden,
die der Text im Laufe der Zeit hervorgebracht hat; Inhaltsverzeichnisse, Glossare, hierarchische Baumstrukturen, Verweise und Querverweise. Es gibt
Hypertexte die sich von Texten nur durch das vermittelnde Medium unterscheiden, sie können also nur in eine traditionelle, lineare Weise
gelesen werden. Was der echte Hypertext jedoch an Plus gegenüber dem normalen Text bietet, ist die Unmittelbarkeit seiner Verknüpfungen.
Verweise im Hypertext eröffnen neue Wege, die zu neuen Hypertexten führen, die ihrerseits wiederum Verweisen mit neuen Möglichkeiten
enthalten können. Von einer Linealität in den echten Hypertexten kann nur dann gesprochen werden, wenn wir ein, vom Autor des Textes
vorgesehenen Leitfaden durch seinen Teil des Hypertextes voraussetzten. Man kann entlang dieser Linie dem Text folgen, man kann aber ebensogut
die Linie jederzeit verlassen.
Die Eigenschaft des Hypertextes, nämlich seine Nonlinearität kann auch überfordern. Die Gefahr, Verweisen innerhalb des Hypertextes
sofort nachzukommen und eigene, beim Lesen entstehende assoziative Linien zu schaffen ist groß. Verliert man den Überblick entsteht das
Gefühl des "lost in hyperspace", ein Gefühl des Verlorengegangenseins in den Möglichkeiten, die uns unsere eigenen
Assoziationen bieten. Aber der Hypertext bildet weder den ersten noch den einzigen Ort an dem man verlorengehen kann. Arinaldus von Grottaferata
sagt in Ecos 'Name der Rose': "Die Bibliothek ist ein großes Labyrinth, Zeichen des Labyrinths der Welt. Tritts du ein, weiß
du nicht, wie du wieder herauskommst."
Wir können das WWW mit einer Bibliothek vergleichen, einem Ort dessen Ausdehnung ein ebenso unbestimmtes Maß erreicht wie die Zahl
seiner Räume. Die im Zeitalter der "Encyclpédie" beginnende Dreidimensionalität des Textes setzt sich im Hypertext fort.
Spricht jemand über das WWW, kommt er bald darauf, auch vom Hypertext und vom virtuellen Raum zu sprechen.
Auf die Frage; was der virtuelle Raum sei, gibt es mindestens so viele Antworten wie Gefragten. Manche beschreiben diesen Raum, als eine Ansammlung
von Festplatten in Computern, verbunden durch einige Millionen Meter Kabel; also ganz im Zeichen der Technik. Andere hingegen meinen,
daß der virtuelle Raum eine von und durch den (Hyper)Texten geschaffene Realität einer Bibliothek ohne Wände sei.
"Es ist ein Ort, der heißt Überall und Nirgends." Es ist schwer, sich diesen raumlosen Ort vorzustellen. Aber der
virtuelle Raum hat schon seinen Vorgänger in der Geschichte des Textes.
Etwa um den 9. bzw. 10 Jahrhundert herum taucht in der Buchmalerei eine interessante stilistische Erscheinung auf; der Schichtenraum. Um sich statt
dem Raum auf dem Inhalt konzentrieren zu können, verwenden einige Maler eine neue Technik. Um den Sinn dieser Technik zu verstehen, muß
ich ein wenig ausholen.
Bilder in den Büchern des Mittelalters hatten nicht nur einen illustrativen Charakter, sie dienten auch didaktischen Zwecken. Sie waren dazu
gedacht dem Einfältigen den Sinn des geschriebenen Wortes nahezubringen. Während man den geschriebenen Text "zuhörte",
sollte das Bild helfen diesen Text geistig zu erfassen. Die Bilder waren also als nonverbale Träger des Textes Aussage gedacht. Zu guter
Letzt hatten die Miniaturen auch eine erinnerungstechnische Funktion. Sie halfen, im Verbund mit dem Text, das Erinnerungsvermögen zu stärken.
Das Bild und die Zeilen verbinden die Wahrnehmung von Auge und Ohr und unterstützen den Leser darin, sich an die "Stimmen der Seiten"
und auf ihren Sinn zu erinnern.
Wie sollte man aber eine Geschichte in einem einzigen Bild darstellen? Da es nicht zu jeder Zeit alles möglich ist, mußte man die
optische Wahrnehmung vereinfachen um doch alles darstellen zu können. Das konnte aber nur auf dem Konto der Tiefendimension und somit auf
dem Konto des Raumes geschehen. Die räumliche Wirklichkeit wird reduziert und der Tiefenraum wird durch ein System von Raumschichten ersetzt.
Das heißt, daß die verschiedenen Bildelemente (z.B. die Personen, Gebäuden, Möbel, die Landschaft usw.) jeweils eine eigene
dünne Raumschicht erhalten. Diese Schichten werden dann aufeinandergelegt und miteinander verflochten. Die Bilder wirken dadurch plakativ,
der Raum ist ausgefaltet, man hat eine "von oben" Ansicht und die auseinandergeklappten Flächen werden untereinander von oben nach
unten gereiht. So wird die Wiedergabe auch von komplexeren Inhalten leichter. Diese Technik machten sich dann auch die modernen Maler zu eigen.
Wenn man genauer hinsieht, entdeckt man im Aufeinanderlegen von Inhaltselementen das Prinzip der Collage.
Im Hypertext verliert der gedruckte Text seine greifbare Räumlichkeit, der Raum des Textes wird aufgelöst. Es existieren nun mehr
Seiten, die sowohl neben wie übereinander "liegen" können. Die Schichten einer Hypertextseite (Bilder, Text, etc.) liegen
plakativ und raumlos auf dem Bildschirm vor uns.
Man sollte aber nicht die Mehrdimensionalität des Hypertextes mit dieser Raumlosigkeit verwechseln. Raumlos ist nur die am Bildschirm gerade
dargestellte Seite. Es gibt Darstellungstechniken, denke man an die diversen StyleSheets-Sprachen, die es ermöglichen, innerhalb einer Seite
tatsächlich verschiedene Schichten von Text übereinander zu legen. In den meisten Fällen jedoch können wir diese Schichten nur
wie aufeinanderlegte Teile einer Collage wahrnehmen. Deshalb nur in den meisten Fällen, weil es bereits möglich ist einen Tiefenraum
innerhalb einer Hypertextseite darzustellen (z.B. mit Hilfe von VRML-Dateien). Im Bereich der Computerspiele gehört Dreidimensionalität
bereits zu Voraussetzung eines Spieles. Innerhalb eines einzelnen Hypertextes findet man dagegen die Dreidimensionalität bisweilen nur vereinzelt
vor.
Hypertext und der virtuelle Raum ermöglichen auch eine Interaktivität, die beim gedruckten Text nicht vorhanden war. Beim Lesen eines
Buches ist der Leser nur passiv am Text beteiligt, die Interaktivität beschränkt sich auf die Reaktionen des Lesers auf dem Text.
Im Hypertext wird es möglich, daß nicht nur der Leser auf dem Text reagiert, aber auch der Text kann auf die Reaktionen des Lesers
mit eigenen Reaktionen antworten. Das einfachste Beispiel ist das Anklicken eines Verweises, wo der Hypertext die Intention seines Autors folgend,
mit einer entsprechenden Reaktion - z.B. mit der Darstellung einer andern Seite, oder das Abspielen einer Musik, Video etc. - antwortet.
Die Reaktionen des Textes sind für den Leser nicht immer voraussehbar, so können Verweise die beabsichtigte Leselinie des Lesers durchbrechen
und eigene "Lesepfade" erzeugen, die den Leser in ihm unbekannte Teile des Hyperraumes führen. Theoretisch ermöglicht uns die
universale Verknüpfbarkeit des Hypertextes von jedem seine Punkte zu jedem anderen Punkt in ihm zu gelangen.
Schon seit der Bibliothek von Alexandrien ist es ein altes Ideal der westlichen Zivilisation, eine alles Geschriebene umfassende Universalbibliothek
zu erschaffen. Das Ergebnis in vielen Bibliotheken versammelten und aufbewahrten Schriften, Texte, etc. kommt dieser Universalbibliothek sehr nahe,
jedoch nicht ohne räumliche Begrenzungen unterworfen zu sein.
Eine neue Konzeption dieser Universalbibliothek bietet sich in den Computernetzen an. In ihr sind "Texte [...] nicht mehr länger
Gefangene ihrer eigenen ursprünglichen physikalischen und materiellen Existenz." Diese virtuelle Universalbibliothek hat keine
Wände mehr, ihre Speicherkapazität ist unerschöpflich und die Zahl ihrer Räume ist ebenso unbegrenzt wie ihre Ausdehnung.
Ihre Öffnungszeiten sind ganz im Sinne eines zeitunabhängigen Hypertextes. Der Leser kann von jedem Computer im Netzt auf die Texte in
dieser Bibliothek zugreifen und in kürzeste Zeit jeden beliebigen Punkt in ihr aufsuchen.
Hypertext wir oft als die "Präsentation von Information als ein Netz miteinander verbunden Knoten" dargestellt,
"dessen Leser frei und in nicht linearer Form navigieren können. Er erlaubt für mehrere Autoren eine Vermischung der Funktionen
von Leser und Autor, ausgedehntes Arbeiten mit weitläufigen Grenzen und mehrfache Lesepfade." Hypertext - auch wenn einige
hypertextuell zumutende Texte in gedruckter Form existieren - wurde immer als elektronischer Text und immer im Zusammenhang mit Computer und
Netzwerken gesehen.
Wie Ted Nelson, der Vater des Wortes "Hypertext" selbst sagt: "The computer screen makes new forms of writing possible that are not
sequential. "Hypertext," a term coined by us, mean non-sequential writing for the computer screen (our term "hypertext" is now
in wide popular usage)." Hypertext "sollte" also als eine neue Sorte von Text für den Bildschirm und seine Möglichkeiten
betrachtet werden.
Das, was wir heute unter Hypertext verstehen, wird eigentlich mit dem Begriff "Hypermedia" besser beschrieben. Hypermedia ist die
Erweiterung von Hypertext durch Grafiken, Bilder, Musik und Video. Wobei ich die Frage, ob und wenn ja, wie weit Hypermedia mit Multimedia
gleichzusetzen ist, hier offenlassen möchte.
Hypertext, besser gesagt Hypermedia ist bis heute am Computerbildschirm gebunden. Erst in allerjüngster Zeit beginnt eine Loslösung des
Hypermedias vom Computerbildschirm. Neue Techniken und neue Geräte ermöglichen und gewisse Weise erzwingen eine mögliche
Neuorientierung des Hypertextes. In der Theorie ist es bereits möglich Texte die - geschrieben - am Bildschirm erscheinen als gesprochener
Text anzuhören, oder als Blindenschrift auszudrucken, aber die technische Verwirklichung dieser Ideen ist noch sehr unbefriedigend und aufwendig.
Vielleicht ist es eines Tages möglich ein im Hypertext als Bild eingebundenes Objekt auch räumlich darzustellen und zwar im realen Raum.
So könnte man eine Vase oder eine Statue, deren Abbildung im Hypertext eingebunden ist, auf Wunsch des Lesers als Hologramme im Raum projizieren
zu lassen. Was heute noch als Sci-Fi abgetan wird, z.B. ein virtueller Spaziergang durch eine Landschaft, oder durch die Räume eines
zukünftigen Hauses, könnten schon bald zum Alltag dieses neuen Textes gehören, der den Bildschirm verlassend die Grenzen von
Hypertext überschreitet und so zum Metatext wird.
Die Universalgrammatik geht von der Annahme aus, daß es allgemeingültige sprachliche Einheiten gibt, die in jede Sprache zu finden sind.
Wenn wir für uns nur drei Einheiten aufgreifen und als "Buchstabe" "Wort" und "Satz" benennen, können wir
einige interessante Beobachtungen machen. Musik, wo die Noten als Buchstaben Wörter, Sätze und ganze Texte ergeben, z.B. ist in diesem
Sinne ebenso eine Sprache wie Deutsch oder Englisch, oder sogar Architektur, nur um diese zwei so verschiedene Gegenstände zu erwähnen.
(Mir sind zwar Bücher, die sich mit dem Thema Musik und Sprache bzw. Architektur uns Sprache befassen, bekannt; recherchiert in diese Richtung
habe ich aber nicht.)
Was den Metatext über den Hypertext stellt, ist also seine Möglichkeit unterschiedliche Bereiche, die die Rahmen des Mediums des
Hypertextes, also des Bildschirms sprengen, in eine Einheit zusammen zu fassen. In diesem Zusammenhang habe ich schon das Bild der Bibliothek
verwendet; denkt man also an eine Bibliothek, oder an ein Museum, die nicht nur Bücher, Musikaufnahmen und Videos, sondern auch Bilder,
Münzen, Skulpturen und vieles mehr beherbergen würde, hätte man das Sinnbild einer metattextuellen Umgebung vor sich.
Der Eindruck, daß Metatext im Grunde die festgehaltene und aufbewahrte Form der Sprache der Kultur sei, möchte ich nicht von Hand weisen,
wobei ich mich hier an die Definition der Kultur als "Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Ausdrucksformen eines Volkes", halte.
Wenn man jetzt an die goldenen Platten, die die Voyager mit sich führen denkt und ihren Sinn beachtet, kommt man nicht umhin diese als
Metatext-Botschaften zu bezeichnen.
Als ich angefangen habe meine Gedanken zu diesem Textmodell niederzuschreiben, habe ich noch nicht geahnt, daß es so schwer sein wird bei einer möglichst kompakter Beschreibung zu bleiben. Das Thema Hypertext eröffnet durch seine Vielschichtigkeit so viele Möglichkeiten für Untersuchungen, daß sie die Rahmen eines Artikels weit überschreiten. Meine Recherchen, die ich im Laufe des Schreibens führte, brachten mich zu den unterschiedlichsten Gebieten wissenschaftlicher Disziplinen. Da mein Ziel im Skizzieren eines allgemeinen Textmodels lag, verzichtete ich teils absichtlich, teils gezwungenermaßen darauf bestimmte Themen ausführlicher zu behandeln, da es zum einen bereits viele Arbeiten gibt die sich speziell mit Hypertext befassen, zum anderen ich nicht vorhatte eine größere Untersuchung anzufangen. So habe ich etwa Zeit- und Textlinguistik ebenso nur am Rande berührt, wie etwa Bibliologie, Kunstgeschichte oder strukturalistische Sprachwissenschaft. Ich weiß, daß viele Fragen offengeblieben sind, aber vielleicht bringen sie einige Gedanken, die jede für sich weiterverfolgen kann.